"Mich interessiert, wie mächtige Menschen mit viel Geld das System für sich nutzen und davon profitieren."

Regisseur Mathias Spaan erzählt im Interview, welche Aktualität in Heinrich von Kleists Klassiker "Der zerbrochne Krug" steckt, was ihn an der Suche nach der Wahrheit reizt und wie er es mit Erfolgsdruck hält.

Interview: Tobias Obermaier

Wie verlaufen die Proben für "Der zerbrochne Krug"? 
Mathias Spaan: Eigentlich ganz gut. Wir sind gerade noch auf der Probebühne. Nächste Woche geht es dann auf die große Bühne. Am Anfang haben wir uns noch viel ausgetauscht und langsam baut sich das Konstrukt zusammen. Es gibt viele Sachen, die gerade ineinander verschmelzen und vor allem mit der Drehbühne zu tun haben, die zum Einsatz kommt. Es sind also viele technische Dinge, die noch zu klären sind. Aber die Schauspielerinnen und Schauspieler, sowie das gesamte Team, drumherum sind eine sehr tolle Truppe.

Regisseur Mathias Spaan (c) Clara Unger

Das Ensemble kennst du noch von "8 ½ Millionen", deiner ersten Inszenierung am Münchner Volkstheater. 
Ja, teilweise. Proben sind immer eine aufregende Situation. Man muss schauen, was man ausprobieren kann und was die Schauspieler*innen anbieten. Hier kennen sie mich schon und wissen bereits, in welche Richtung es geht. Umso besser man sich kennt, desto mehr kann sich jeder zuhause fühlen.

"8 ½ Millionen" bekam sehr gute Kritiken, wurde letztes Jahr zu Radikal jung eingeladen und steht immer noch auf dem Spielplan. Verspürst du eine Art Erfolgsdrucks mit deiner zweiten Produktion am Haus?
Den gibt es immer. Beim Theater ist der Druck allgegenwärtig. Das ist die Theatermaschine, bei der alles auf dieses Nadelöhr der Premiere zuläuft. Aber ich bin sehr gerne hier am Haus. Die Bedingungen sind super. Da muss ich das Beste daraus machen. Vielleicht ist der Druck deswegen ein bisschen höher. 

Es gibt eine gewisse Wahrheitsfindung im Stück, die mich interessiert. [...] Was ist tatsächlich vorgefallen?

"Der zerbrochne Krug" gilt als Klassiker auf den deutschen Bühnen. Was reizt dich an einer Inszenierung? 
Klassiker sind immer eine Art Monolith, bei dem es gilt, etwas herauszuschälen. Was kann man heute noch damit machen? In dem Fall sind es zwei Sachen, die mich interessieren. Die Figur des Richter Adam ist jemand, der sehr erfolgreich ist und seine Macht missbraucht, um sich aus der Affäre zu stehlen. Das Thema könnte nicht aktueller sein. 

Und zweitens? 
Es gibt eine gewisse Wahrheitsfindung im Stück, die mich interessiert. Also die Suche nach der Wahrheit. Was ist tatsächlich vorgefallen? Es gibt verschiedene Aussagen von Menschen, die davon erzählen, was sie gesehen haben. Anhand der verschiedenen Perspektiven bildet sich langsam eine Schablone heraus von der Nacht, in der dieser Krug zerbrochen ist. In "8 ½ Millionen" ging es auch um Rekonstruktion. Das ist ein Thema, dass mich grundsätzlich interessiert.

Kostümbild-Collagen (Paula de la Haye) für "Der zerbrochne Krug" (c) Clara Unger

Wie ist die Figur des Dorfrichters Adam angelegt, der über eine Tat richten muss, die er selbst begangen hat?
Im Endeffekt versuchen wir, ihn glaubhaft anzulegen. Er hat auch etwas schusseliges und dümmliches an sich, wenn er in der ersten Szene nach der Tatnacht seine Wunde verarztet und so tut, als wäre er gegen die Heizung gelaufen. Wir suchen aber auch die Momente, in denen er mit der großen Sicherheit eines Richters auftritt, dem nichts passieren wird. Da man als Publikum relativ schnell weiß, dass er der Täter ist, bringt die Figur auch einen gewissen Ekel mit sich.

Das Bühnenbildmodell (Anna Armann) für "Der zerbrochne Krug" (c) Clara Unger

Wie inszenierst du die Gerichtsverhandlung?
Das Stück spielt fast ausschließlich im Gerichtssaal. Den möchte ich aber verlassen. Es gibt daher vier verschiedene Räume, in denen wir uns auf einer Drehscheibe begeben. Es gibt die Nacht, in der das Verbrechen stattfand, den Gerichtssaal, die Stube des Richters und eine vierte Ebene, die ich hinzugefügt habe: Eine Art True Crime Studio, in dem die Figuren nochmal auftreten und auf das Geschehene zurückblicken. 

Warum hast du dich dafür entschieden? 
Mich interessiert, wie mächtige Menschen mit viel Geld das System für sich nutzen und davon profitieren, während diejenigen, die das Opfer sind, diese Mittel nicht haben und dagegen auch nicht ankommen. Diesen Aspekt habe ich im Stück nochmal verstärkt.  

Ich suche in dem Stück überhaupt nicht die Komödie. Trotzdem ist sie natürlich da.

Das Stück wirkt dabei sehr aktuell, wenn man sich gewisse Persönlichkeiten in der Politik anschaut. 
Deshalb haben wir die Geschichte in der Hinsicht nochmal um eine Draufsicht verlängert, in der es darum geht, was mit den Personen danach passiert. Wie mit Eve, die Opfer des Machtmissbrauchs wird und sich im Nachhinein weiterhin mit dem Vorfall beschäftigen muss. Oder Personen, die das Verfahren verlassen und dafür sorgen, dass man mundtot gemacht wird. Das könnte aktueller nicht sein. Deswegen ist es für mich auch sehr aufregend, das zu machen. Der Abend verhandelt große Themen.

Wobei "Der zerbrochne Krug" ein Lustspiel ist. 
Es ist ein Lustspiel, das stimmt. Aber ich suche in dem Stück überhaupt nicht die Komödie. Trotzdem ist sie natürlich da. Es ist an einigen Stellen auch lustig, aber die Inszenierung ist nicht auf die große Komödie aus und ich bin gespannt, wie die Zuschauer*innen darauf reagieren werden.

"Der zerbrochne Krug" von Heinrich von Kleist in der Regie von Mathias Spaan ist ab 16. Mai 2024 auf Bühne 1 im Münchner Volkstheater zu sehen.